Männer leiden vermehrt unter seelischen Belastungen
Wenn ich auf meine persönliche Entwicklung zurückblicke, dann war für mich die Zeit in den 30er und ersten 40er Lebensjahren der schwierigste Abschnitt meines bisherigen Lebens. Schaue ich mir die Männer der Generation Y heute an, hat sich die Situation augenscheinlich weiter verschärft. Die Belastungen haben sich erhöht und neue Belastungen sind hinzu gekommen. Der Druck ist für Männer insbesondere in dieser Altersklasse enorm gestiegen. Die Krankenkasse KKH hat Anfang des Jahres Zahlen zu psychischen Erkrankungen vorgelegt. Bei Männern (nicht nur in der genannten Altersklasse) verzeichnete sie bei sämtlichen Diagnosen einen deutlich größeren Anstieg als bei den Frauen, vor allem bei Angststörungen und seelischen Störungen. Bei Angststörungen etwa lag das Plus bei Männern bei mehr als 40 Prozent, bei Frauen bei gut 19 Prozent. Was mögen die Gründe für diese Entwicklung sein?
Männer der Generation Y belasten steigende Anforderungen im Beruf
Männer in der Generation Y stehen oft in einem wichtigen Karriereschritt. Sie müssen ich zum ersten Mal als Führungskraft beweisen. Der „Welpenschutz“ ist abgelaufen und die harte Realität konfrontiert sie mit Anforderungen, die ihnen bisher nicht bekannt waren. Sie erfahren, wie die Übernahme von Verantwortung zur Belastung werden kann. Erwartungen von unten und Anforderungen von oben bringen sie in einen Sandwichposition, auf die sie nicht vorbereitet sind. Dennoch werden sie als junge, leistungsstarke und dynamische Männer gesehen, die Höchstleistungen erbringen sollen. Je nach Position und Aufgabe kommen vermehrt Geschäftsreisen und unplanbare Überstunden auf sie zu. So sind sie ständig im Alarmzustand und leistungsbereit. Ruhezeiten und Entspannung bleiben auf der Strecke. Immer wieder erfahre ich, dass dann Drogen zum Einsatz kommen, um nicht als Verlierer auf der Strecke zu bleiben.
Generation Y unter finanziellem Druck
Weiterhin besteht gerade in diesem Alter die Gefahr, dass die finanziellen Verpflichtungen zu einer enormen Belastung werden. Der Lebensunterhalt, die Wohnung, das Auto, der Urlaub und die Kosten der Freizeitgestaltung können schnell das monatliche Gehalt übersteigen. Anschaffungen werden mit Krediten finanziert. Stellt sich dann auch noch der Nachwuchs ein und das Familieneinkommen sinkt, ist der finanzielle Kollaps schnell erreicht. Die Überschuldung privater Haushalte erweist sich laut einer Studie des Instituts Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen aus dem Jahr 2022 als ein wachsendes soziales Problem. Nach Schätzungen reichen bei über 10 % aller Haushalte Einkommen und Vermögen aller Haushaltsmitglieder nicht aus, um die fälligen Forderungen zu begleichen. Haushalte alleinerziehender Väter mit einem Kind wiesen mit über 44.000 € den mit Abstand höchsten Schuldenstand auf.
Gesundheit, Fitness, Sexualität, Aussehen
Der durch die sozialen Medien verschärfte Körperkult macht auch vor den Männer nicht halt. Hier werden angebliche Idealbilder von Männern präsentiert, die mit der Realität kaum übereinstimmen. Der Druck, diesem Scheinbild möglichst ähnlich zu werden, ist dennoch enorm angestiegen. So werden Fitnessstudios, Extremsportarten und gezielte Trainings genutzt, um den eigenen Körper in Höchstform zu bringen. Wenn das nicht möglich ist, wird durch Operationen gezielt nach geholfen. So waren im Jahr 2022 Fettabsaugung, Oberlidstraffung und die Brustverkleinerung die am häufigsten durchgeführten Schönheitsoperationen bei Männern. Zudem kommt die Angst, als Sexualpartner nicht die Leistung zu erbringen, die man sich selbst abverlangt, was aufgrund der hohen Belastungen immer häufiger zu Versagensängsten führt.
Die Beziehung mit einer emanzipierten Frau
Der Feminismus und die Frauenbewegung haben dazu geführt, dass emanzipierte Frauen andere Vorstellungen von einem Partner an ihrer Seite entwickelt haben, als sie in der Vergangenheit galten. So wird der Mann in seiner traditionellen Rolle als Ernährer, Beschützer und Bestimmer immer häufiger abgelehnt. Stattdessen wird von ihm eine Beziehung auf Augenhöhe mit Wertschätzung und Respekt erwartet.
Frauen wünschen sich in einer Beziehung Liebe, Selbstbestimmtheit, Unterstützung, Vertrauen und Gleichberechtigung. Von einem Mann erwarten sie in erster Linie, dass er Gefühle zeigt, zuhören kann und verlässlich ist. Der Mann soll dem intellektuellen Niveau der Frau entsprechen, ehrlich sein und seine ihm anerzogene Dominanz gegenüber Frauen ablegen. Die 30+ Männer mussten lernen, dass das traditionelle Bild, dass die Frau zuhause bleibt und der Mann die Rolle des Ernährers einnimmt, längst ausgedient hat. So sind sie gefragt neben ihrem beruflichen Verpflichtungen auch die Aufgabe des fürsorglichen Vaters und die Mitverantwortung für den Haushalt zu übernehmen.
Veränderung braucht Zeit
Jede dieser vier Anforderungen ist berechtigt und es geht hier nicht darum, sie in Frage zu stellen. Dass sie vielfach alle gleichzeitig auf die Generation Y zukommen ist das Problem. Männer müssen sich eingestehen, dass sie nicht in allen Bereichen Spitzenpositionen einnehmen werden und Frauen müssen verstehen, dass Männer Zeit brauchen, um sich zu verändern. Rollenbilder, die sich über Generationen hinweg etabliert haben, lassen sich nicht innerhalb kurzer Zeit ablegen. Männer sollten ehrlich zu sich selbst sein, ihre Grenzen akzeptieren, ihre Schwächen akzeptieren und ihre Fehler offen ansprechen. Wichtig erscheint mir, eigene Verhaltensweisen zu hinterfragen und dort, wo sie schädlich sind, Schritt für Schritt Änderungen herbeiführen.
Dabei hilft der Erfahrungsaustausch mit anderen Männern, z. B. in einer Männergruppe oder ein vertrauliches Gespräch mit einem Männerberater. Veränderungen brauchen meist einen Anstoß von außen. Den sollten sich die Männer gegenseitig geben und nicht auf die Frauen warten.